Freiheit hinter Gittern?

Freiheit hinter Gittern?

Bücher sind eigentlich der Inbegriff der Freiheit. Diese nun in einem Gebäude unterzubringen, das von außen aussieht wie ein Gefängnis, scheint abstrus. Aber warum genau macht dieser Widerspruch die Stadtbibliothek am Mailänder Platz so attraktiv?

Die Stuttgarter Stadtbibliothek befindet sich im Herzen des Europaviertels, umgeben von Hotels, Banken und unzähligen Einkaufsmöglichkeiten. Von den U-Bahn-Stationen “Stadtbibliothek” und “Budapester Platz” ist der Quader zu Fuß leicht zu erreichen, dennoch steht das Gebäude abseits der Fußgängerzone in einem Bankenviertel. Da der Grundgedanke einer solchen Einrichtung die Bereitstellung der Bücher gleichermaßen an alle Bevölkerungsgruppen ist, scheint die Lage der Bibliothek widersprüchlich gewählt. Davon abgesehen wird allerdings besondere Rücksicht auf eine Gruppe genommen: Am Osteingang gibt es die sogenannte “Bibliothek für Schlaflose” welche es zu jeder Tages- und Nachtzeit ermöglicht, Bücher und Filme aus einem wechselndem Madienangebot auszuleihen.

Außerdem können sowohl Laptops als auch CD-Player vor Ort genutzt werden. Trotz der widersprüchlichen Lage der Stadtbibliothek werden durch die vielfältigen Angebote alle Bevölkerungsgruppen miteinbezogen. 

Außenansicht

Ein Blick auf das Gebäude von außen lässt erst einmal keine Bibliothek, sondern eher ein Gefängnis vermuten. Die Begriffe “Bibliothek” und “Library”, welche sich am oberen Rand befinden, weisen zwar darauf hin, jedoch würde man ohne diese nicht erkennen, was sich hinter dem großen Quader verbirgt. Mit seiner quadratischen Grundform und dem rasterartigen Muster auf jeder Seite, erinnert er an die futuristische Architektur im ostasiatischen Raum. Verwunderlich ist dies nicht, zieht man die Entstehung des Gebäudes in Betracht. Nachdem der südkoreanische Architekt Eun Young Yi den 1999 ausgeschriebenen Architektenwettbewerb gewann, wurde die Bibliothek nach seinen Vorstellungen realisiert und am 24.Oktober 2011 eröffnet.

Innenansicht

Die moderne und futuristische Architektur der Außenfassade lässt sich im Inneren des Gebäudes wiederfinden. Bei der Einrichtung wurde von intensiven Farben abgesehen, jegliche Elemente sind weitgehend in einem schlichten Weiß gehalten, sodass die unterschiedlichen Farben der Buchrücken dem Betrachter sofort ins Auge stechen.

Bei einem Aufenthalt laden nicht nur die gemütlichen mit hellblauem Stoff überzogenen Bänke zum Verweilen ein, sondern auch stille Arbeitsräume oder das Café Lesbar, welches sich im achten Stock befindet. Von den insgesamt acht Stockwerken, über die sich die Bibliothek erstreckt, werden somit nicht alle ausschließlich für Bücher genutzt. 

Fazit

Was anfangs noch als Widerspruch schien, ist bei genauerem Betrachten gar keiner. Die weißen Geländer ähneln zwar den Gitterstäben einer Gefängniszelle, dennoch ist das Innere der Bibliothek groß und geräumig, was durch die minimalistische Einrichtung, viel Platz zwischen diese und die Bücher bringt. Dadurch kann man selbst als Besucher Abstand sowohl von Geländern als auch von Büchern nehmen, was ein gewisses Freiheitsgefühl entstehen lässt. Hinzu kommt die Meinungsfreiheit innerhalb der Bücher, die Freiheit des Lesers, sich informieren zu können und die Freiheit der Verlage, unabhängig drucken zu können. Am bedeutsamsten ist aber die Freiheit, die Bibliothek betreten und sich die Bücher innerhalb dieser ausleihen zu können, unabhängig von Erscheinung, Herkunft und Überzeugungen eines jeden Menschen.

Somit handelt es sich lediglich um Freiheit hinter Gittern im optischen Sinne, nicht aber um Einschränkungen in der Realität.

Ein Beitrag von Rebecca Oehler und Chiara Mühlenbrock

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