Wie aus einer kleinen Idee Großes wurde
Die Stuttgarter Gesellschaft Zigeunerinsel wurde 1910 mit der Intention gegründet, die bürgerlichen Interessen Stuttgarts angemessen zu vertreten.
Im Laufe der Zeit wandelte sich der Bürgerverein immer mehr zu einem Karnevalsverein, der bestrebt ist, die Menschen zu begeistern und ihnen etwas zu bieten. So war die alljährliche Prunkfestsitzung vielen in den letzten Jahren ein durchaus präsenter Begriff, mit namhaften Größen aus Funk und Fernsehen.
Bis heute widmet sich die Gesellschaft der Traditionspflege des karnevalistischen Brauchtums, des Gardetanzes und der Spielleutemusik.
Es lässt sich bereits erahnen, dass der Gesellschaft Zigeunerinsel nicht nur eine lange, sondern auch eine spannende Geschichte zugrunde liegt. Doch wo und vor allem wie nahm die Reise der sogenannten „Zigeunerinsel“ ihren Anfang? Was ist das Geheimnis ihres langen Bestehens?
„Wir sind nicht die Zukunft des Vereins – die jungen Leute sind es.“
Thomas Haas, Präsident der Gesellschaft Zigeunerinsel Stuttgart, im jüngsten Interview.
Das Herz des ältesten Bürgervereins der Karnevalsvereinigung liegt im Stuttgarter Westen. Das Programm des Vereins ist genauso bunt wie der Karneval selbst. Besonders bekannt sind der Spielmannszug, die Gardetanz-Gruppe sowie die Maskengruppe „Hutzelmännlein“, deren Ursprung eine Geschichte des Lyrikers Eduard Mörike ist. Diese Gruppe präsentiert sich zu öffentlichen Anlässen mit aufwendig handgeschnitzten Holzmasken. Über 200 aktive Mitglieder zählt die Zigeunerinsel. Sie bietet für Jung und Alt ein musikalisches und sportliches Programm sowie gemeinsame Ausflüge und gemütliches Beisammensein im Vereinszentrum.
Der Name der Gesellschaft mag Fragen aufwerfen, hat aber historische Hintergründe. Dazu erklärt Thomas Haas: Stuttgart war früher deutlich kleiner. Das heutige Stuttgart-West und das Gebiet um den Vogelrain waren damals Randbezirke der Stadt. Hier versammelten sich Reisende, fahrende Händler und andere Menschen, die in Stuttgart nicht heimisch waren. Dadurch erhielt das Gebiet im Volksmund den Namen „Zigeunerinsel“. „Wichtig ist, dass dabei jeder willkommen war. So ist es auch heute noch bei uns – niemand wird wegen seiner Ethnie, seiner Sexualität oder sonst etwas ausgeschlossen“, betont Haas. Um diese Werte zu bewahren, erhielt der Verein später den Namen „Gesellschaft Zigeunerinsel“.
Doch trotz allen Frohsinns ist es in der heutigen Zeit problematisch, einen so großen und traditionsreichen Verein am Leben zu erhalten, wie Haas deutlich macht. Das Interesse junger Menschen liegt zunehmend in anderen Bereichen. So seien soziale Kontakte und das Vereinsleben für viele nicht mehr so wichtig wie beispielsweise in den 1980er-Jahren. Daher bemühe sich der Verein intensiv um Nachwuchs, der die Traditionen und Werte auch in zukünftige Generationen tragen wird. „Grundlegend sind wir offen für vieles. Wir müssen nur schauen, wie wir die beste Mischung aus Tradition und Moderne finden“, sagt Haas.
Bereits jetzt wird diskutiert, wie künftige Prunkfestsitzungen gestaltet werden können, um auch jüngere Leute anzusprechen, ohne den Kern der Gesellschaft zu vernachlässigen. Vereine sollten wieder ein Ort werden, an dem man zusammenkommt, Spaß hat und sich auf jede Veranstaltung sowie aufeinander freut. „Eine Art zweite Heimat oder Familie“, wie Haas es nennt.
Kritik am Namen
Auf die Kritik am Vereinsnamen angesprochen, erklärte Haas: „Als der Verein gegründet wurde, gab es noch das Kaiserreich – vor dem Ersten Weltkrieg, vor der Weimarer Republik und weit vor dem Dritten Reich.“ Die Gründung sei zu einer Zeit erfolgt, in der Hass gegenüber Minderheiten in der Größenordnung der 1930er- und 1940er-Jahre kein Thema war. Während des Dritten Reichs konnte sich der Verein durch die Einstellung jeglicher Aktivitäten vor der Auflösung schützen. Der Verein war stets unpolitisch, übernahm jedoch gesellschaftliche Aufgaben und verstand sich als „sicherer Hafen für alle“.
Der Name sei eng mit der Geschichte des Vereins verwoben und nicht ohne Weiteres zu trennen. Er stehe für eine lange Tradition und sei gleichzeitig eine Mahnung sowie eine Verpflichtung, Akzeptanz und Selbstverwirklichung zu fördern. Allerdings gebe es Gruppen, die mit negativ behafteten Stereotypen Schindluder trieben, was Missverständnisse begünstige.
Unabhängig von der Namensdebatte hatte die Gesellschaft zuletzt auch andere Herausforderungen zu meistern, darunter sinkende Mitgliederzahlen und die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die den Verein finanziell belasteten. Mittlerweile blickt man jedoch optimistisch nach vorn.
Die kommende Prunkfestsitzung am 3. Februar 2024, ein Highlight der Saison, gibt Anlass zur Hoffnung. „Es ist das Highlight des Jahres“, so Haas. Die Gesellschaft wolle den karnevalistischen Kern bewahren und gleichzeitig neue Programmpunkte flexibel gestalten.
Es bleibt abzuwarten, wie sich der Weg der Gesellschaft Zigeunerinsel in Zukunft entwickeln wird. Wir wünschen dem Verein, seinem Präsidium und allen Mitgliedern eine gesegnete Kampagne mit einem dreifach kräftigen „Tschä-Hoi“!
Ein Beitrag von Jonas Böttcher und Finn Katolik